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So war 2022 für Anna Netrebko Schicksalsjahr einer Sopranistin

2022 war das Jahr der Anna Netrebko – aber gewiss nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat. Weil sich die Sopranistin nicht von Wladimir Putin distanziert und nur sehr zögerlich ein halbherziges Friedens-Statement abgegeben hat, war sie plötzlich Persona non grata in nahezu allen bedeutenden internationalen Opernhäusern. Bis heute hat sie kaum Auftritte. Ist das das Ende einer großen Karriere?

Anna Netrebko | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Seit über 20 Jahren verzaubert Anna Netrebko die Opernwelt – mit einer der schönsten Sopranstimmen aller Zeiten. Wer sie in den ersten Jahren ihrer Weltkarriere erlebt hat, konnte auch von einer singulären Schauspielerin schwärmen. Intuitiv hat sie die Charaktere ihrer Partien erfasst: die vor Zorn glühende Donna Anna, die kindlich-naive Giulietta bei Bellini – und die vor Lebenslust sich überschlagende Traviata. Das waren faszinierende, psychologisch stimmige und musikalisch überwältigende Rollenporträts. In Interviews war sie immer nett, freundlich, auch ein wenig kokett – doch ergiebig waren die Gespräche nicht. Über Inszenierungen, Rollenauffassung oder die Zusammenarbeit mit Dirigenten hat man von ihr nur Belangloses erfahren. Aber das konnte man alles vergessen, sobald sie anfing zu singen.

Nach dem Angriff auf die Ukraine schweigt Anna Netrebko

Schnell hat sich Anna Netrebko wohlig eingerichtet in ihrer Opernwelt – als Pendlerin zwischen Ost und West, mit Wohnungen in St. Petersburg, New York und Wien. Eine Russin, gefördert vom Präsidenten ihres Heimatlandes und gefeiert auf allen Bühnen dieser Welt. Als dieser Präsident seinen Angriff auf die Ukraine beginnt, schaut die Musikwelt auf Anna Netrebko. Die schweigt, wofür sie stark kritisiert wird. So erklärt etwa Peter Gelb, Intendant der New Yorker Met, Netrebko unter diesen Umständen nicht mehr auftreten zu lassen.

Wie unpolitisch darf eine Künstlerin sein?

Am 1. März 2022 ist auf Instagram von ihr zu lesen: "Ich fordere Russland auf, diesen Krieg jetzt zu beenden, um uns alle zu retten! Wir brauchen Frieden!" Den Beitrag löscht sie noch am selben Tag. Sie sei kein politischer Mensch, schreibt sie und fordert später das Recht für sich ein, unpolitisch sein zu dürfen. Dafür wird sie stark kritisiert – auch vom Musikerkollegen Igor Levit. Netrebko aber beruft sich auf ihre Kunst, mit der sie die Menschen zusammenbringen wolle. Später erklärt sie in einem Interview mit der französischen Zeitung "Le Monde", dass sie sich ungerecht behandelt fühle.

Früher hatte Netrebko weniger Probleme mit politischen Statements

Anna Netrebko bei einer Pressekonferenz zusammen mit dem ostukrainischen und prorussischen Separatistenführer Oleg Zarjow  | Bildquelle: picture-alliance/dpa Anna Netrebko bei einer Pressekonferenz zusammen mit dem ostukrainischen und prorussischen Separatistenführer Oleg Zarjow (2014) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Kein Zweifel: Wie Tosca, eine ihrer Heldinnen, dient Anna Netrebko der Kunst. Aber auch einem Kriegstreiber, von dem sie gerührt Glückwünsche zu ihrem 50. Geburtstag entgegennimmt. Krieg geht natürlich gar nicht, lässt sie wenig später verlauten. Möglicherweise sei sie in der Vergangenheit das eine oder andere Mal falsch interpretiert worden. Das ist unverschämt und feige, denn damit spielt sie die Verantwortung zurück an ihre treue Fangemeinde. Was kann man an einem Foto aus dem Jahr 2014, das sie mit einem Separatistenführer samt Flagge eines Staates "Neurussland" zeigt, falsch interpretieren? Nichts. Damals hat Anna Netrebko öffentlich Putins Annexion der Krim begrüßt. Unpolitisch geht anders. Als das Foto jetzt wieder auftaucht, reagieren die Opernhäuser in aller Welt und lösen ihre Verträge mit der Sopranistin. Damit ist sie nicht die einzige: Wegen ihrer Haltung zu Putin und Russland geraten auch andere Künstlerinnen und Künstler in die Kritik.

Auch in Russland fällt Anna Netrebko in Ungnade

Gleichzeitig setzt sich Anna Netrebko mit ihrem halbherzigen Anti-Kriegs-Statement auch bei ihrem Präsidenten in die Nesseln und mutiert in ihrem Heimatland von der umjubelten "Volkskünstlerin" zur Verräterin, zu einem "Idol von gestern". Wenn sie sich auch nicht ausdrücklich von Putin distanziert hat, hat sie ihn doch verleugnet, seine Bedeutung für sie heruntergespielt. Die berühmteste Sängerin der Welt sitzt endgültig zwischen allen Stühlen. Das wird ein ruhiger Festspielsommer ...

Und in Verona? Sie singt. Und erntet Kritik wegen Blackfacing

Die Opernfestspiele von Verona springen in die Bresche und bieten der russischen Diva Auftrittsmöglichkeiten als Aida und Turandot. Open-Air-Spektakel bei 35 Grad Hitze. Stimmlich ist sie nicht durchgängig überzeugend. Aber das wäre ja auch ein Wunder gewesen ... Außerdem gerät sie hier als Aida zusätzlich wegen Blackfacing in die Kritik, weil sie für ihren Auftritt als Aida dunkles Make-Up getragen hatte.

Lesen Sie hier die Kritik zu Anna Netrebkos Auftritt als Turandot in Verona

War's das nun mit Anna Netrebkos Karriere?

Gern würde ich wieder die Künstlerin Anna Netrebko auf der Bühne erleben. Eine, die nicht nur in opulenten Abendkleidern ihre Stimme ausstellt, sondern die wieder mit der Interpretation einer Rolle, einer Figur fasziniert. Doch von diesem Anspruch hat sie sich ja schon länger verabschiedet. Ich fürchte, das war's mit der einzigartigen Karriere einer einzigartigen Sängerin. Und ich bedaure das sehr. 

Sendung: "Allegro" am 21. Dezember 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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